Forum geobotanicum (2008) 3:20-28
DOI 10.3264/FG.2008.1022

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Lenz Meierott

Cerastium brachypetalum Desp. ex Pers. und Cerastium tenoreanum Ser. (Caryophyllaceae) in Franken

Cerastium brachypetalum Desp. ex Pers. and Cerastium tenoreanum Ser. (Caryophyllaceae) in Franconia, Southern Germany

Published online: 22 October 2008
© Forum geobotanicum 2008

Abstract The present communication on Cerastium tenoreanum Ser. and the varieties of Cerastium brachypetalum Desp. ex Pers. deals with nomenclature and diagnostic features of these taxa and their distribution pattern in Southern Germany. Factors influencing the recent distributional expansion of annual Cerastia are discussed.

Zusammenfassung Für Cerastium tenoreanum Ser. und die Varietäten von Cerastium brachypetalum Desp. ex Pers. werden ihre korrekte Nomenklatur, ihre Unterscheidungsmerkmale und ihre Verbreitung in Süddeutschland und Franken mitgeteilt. Die gegenwärtige Ausbreitungstendenz annueller Cerastien wird diskutiert.

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Prof. Dr. Lenz Meierott
Am Happach 43
D-97218 Gerbrunn
Tel. +49 (0)931 706052
E-mail: Lenz.Jutta.Meierott@t-online.de

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Zur Taxonomie und Nomenklatur
 
Lonsing (1939) hatte in seiner Bearbeitung einjähriger europäischer Cerastien die Taxa der „Series Brachypetala Lons.“ als Arten betrachtet. Sell & Whitehead (1964a) wiederum haben aus einem konservativeren Standpunkt heraus diejenigen Sippen, bei denen die infraspezifische Variation eine Tendenz zu geographischer Differenzierung zeigt – darunter Cerastium brachypetalum und C. tenorea-num – als Subspezies eines weitgefassten Cerastium brachypetalum aufgefasst. Diesem Konzept sind dann Flora Europaea (Sell & Whitehead 1964b) und mehrere Landesfloren, darunter auch noch Rothmaler Band 4 (2005) gefolgt. In der deutschen Standardliste (Wisskirchen & Haeupler 1998) werden sie wieder auf Artniveau als Cerastium brachypetalum Desp. ex Pers. s. str. und C. tenoreanum Ser. geführt.
Sehr unterschiedlich wurde die infraspezifische Gliederung des Cerastium brachypetalum gehandhabt. Lonsing (1939) war hier nach Untersuchung eines reichen Herbarmaterials zur Überzeugung gelangt, „daß man nur zur Unterscheidung einer drüsigen und einer nichtdrüsigen Untergruppe berechtigt ist“, die er wegen der ungleichmäßigen Verbreitung als Unterarten betrachtete: „A. subsp. strigosum (Fries) Lonsing, subsp. nov. Planta eglandulosa“ und „B. subsp. tauricum (Sprengel) Murbeck pro pte. [...] Pflanze im oberen Teil drüsig“.
Sell & Whitehead (1964a, b) haben dies aufgegriffen, aber unglücklicherweise die drüsenlose Sippe als den Typus betrachtet und subsp. brachypetalum genannt. Dem sind in der Folgezeit fast alle Florenwerke gefolgt.
Nun hatte der renommierte Cerastien-Kenner Walter Möschl (1973) geklärt, dass der Typusbeleg des Cerastium brachypetalum von Desportes in P zur drüsigen Sippe gehöre. A. Aubreville, der Direktor des Pariser Herbars, habe ihm nach Untersuchung des Belegs mitgeteilt: „Le type de Desportes du Cerastium brachypetalum a bien des poils glanduleux, mais il a aussi des poils non glanduleux ...“. Deshalb müsse das drüsige Cerastium tauricum Sprengel nun – auf den Rang einer Form herabgestuft – den Namen Cerastium brachypetalum f. brachypetalum tragen. Diese Sippe muss dann heute – nach jetzigem Verständnis als Varietät geführt – gültig Cerastium brachypetalum Desp. ex Pers. var. brachypetalum benannt werden.
Diese korrekte Zuordnung wurde meines Wissens bisher nur von Smejkal in Nova Květena ČR 2 (1990) und von Rico in Flora iberica II (1990) richtig gehandhabt.
Aufgrund der verwickelten Nomenklatur sollen nachfolgend die derzeit gültigen Namen einschließlich der Synonymie mitgeteilt werden, die freundlicherweise K.P. Buttler aus seiner Namensdatei zur Verfügung gestellt hat (gültige Namen durch Fettdruck hervorgehoben).


Cerastium brachypetalum Desportes ex Persoon 1805: 520, Kleinblütiges Hornkraut
   [BB BW BY HE MV NI NW RP SH SL SN ST TH] *
 
     Cerastium brachypetalum var. brachypetalum [BY]
     Cerastium brachypetalum f. interpositum Nyárády & Prodan apud Săvulescu 1953: 663
     Cerastium brachypetalum f. tauricum (Sprengel) Prodan apud Săvulescu 1953: 46
     Cerastium brachypetalum subsp. brachypetalum
     Cerastium brachypetalum var. glandulosopilosum Schur 1876
     Cerastium brachypetalum var. glandulosum W. D. J. Koch 1836: 121
     Cerastium brachypetalum var. tauricum (Sprengel) Kerner 1882
     Cerastium brachypetalum var. viscidum Grenier 1841
     Cerastium brachypetalum subsp. tauricum (Sprengel) Murbeck1891
     Cerastium mutabile K. F. Schimper & Spenner apud Spenner 1829: 847, n. ill., p. p.
     Cerastium mutabile var. brachypetalum (Persoon) K. F. Schimper & Spenner apud Spenner 1829: 847
     Cerastium tauricum Sprengel 1819
     Cerastium viscosum auctorum, sensu Pollich 1776
 
     Cerastium brachypetalum var. eglandulosum Fenzl apud Ledebour 1842
     Cerastium brachypetalum f. eglandulosum (Fenzl) Hegi 1911
     Cerastium brachypetalum f. strigosum (E. M. Fries) Prodan apud Săvulescu 1953: 46
     Cerastium brachypetalum subsp. strigosum (E. M. Fries) Lonsing 1939: 157
     Cerastium brachypetalum var. strigosum (E. M. Fries) Fiori 1923: 474
     Cerastium strigosum E. M. Fries apud E. M. Fries & Broberg 1817
     Stellaria brachypetala (Linnaeus) Jessen 1879: 289
 
Cerastium tenoreanum Seringe 1824, Tenores Hornkraut [BWu? BYu HE-] **
     Cerastium brachypetalum subsp. tenoreanum (Seringe) Soó von Bere 1951
 
*BB bis TH: Abkürzungen Bundesländer
**BWu?: In BW wohl unbeständig; BYu: In BY unbeständig; HE-: In HE zweifelhafte Literaturangabe, vermutlich fehlend


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Unterscheidungsmerkmale der behandelten Sippen
 
Die Unterscheidung von Cerastium brachypetalum und C. tenoreanum gilt als nicht ganz einfach, zudem sei die Abgrenzung gelegentlich durch das Auftreten von Zwischenformen (Hybriden?) verwischt. Allerdings hat schon Lonsing (1939) ausgeführt: „Der wichtigste Unterschied zwischen C. tenoreanum und dem drüsenlosen C. brachypetalum liegt in der Behaarung. Stengel und besonders Blütenstiele (am sichersten am primären Blütenstiel zu beobachten) sind mit aufwärts anliegenden Haaren bedeckt, während diese bei C. brachypetalum stets deutlich abstehen. (Bei unsachgemäßem Pressen von jungem C. tenoreanum kann dieses Merkmal undeutlich werden, andererseits liegen bei noch nicht ausgewachsenen Blütenstielen des C. brachypetalum die Haare etwas an).“ Und Möschl (1973) betont: „C. tenoreanum ist leicht daran zu erkennen, daß an den Blütenstielen und meistens auch am obersten Stengel-Internodium die an ihrer Basis gegen den Stiel oder Stengel gebogenen Deckhaare diesem Achsenteil aufwärts angedrückt sind.“
Bei Cerastium tenoreanum (vgl. Abb. 1) sind die Deckhaare an den Blütenstielen und an den 1(-2) obersten Stängelinternodien meist 3-4-zellig und etwa 0,3-0,5(0,7) mm lang. Dabei steht eine kurze Basiszelle mehrminder rechtwinklig vom Stiel bzw. Stängel ab und knickt dann plötzlich nach oben ab, so als ob die Zell-Zell-Verbindung zwischen Basalzelle und folgender langer Zelle als Gelenk wirken würde (vgl. Abb. 2). Die weiteren 2-3 Zellen sind langgestreckt, die letzte mündet in eine feine Spitze; alle diese Langzellen sind dem Stiel/Stängel mehrminder anliegend bzw. angedrückt. Vereinzelt finden sich daneben auch längere, etwa 1 mm lange Deckhaare, die schräg aufwärts oder nach oben ohne scharfen Knick gebogen abstehen. Die Deckhaare der Sepala sind zwischen 0,5 und 1,3 mm lang und stehen sämtlich mit etwa 40° schräg nach oben ab; hier finden sich keine der für Blütenstiele und oberste Stängelglieder charakteristischen Knickhaare (in der Literatur wird dies oft, z.B. auch in Rothmaler 4 und Haeupler & Muer 2000, falsch dargestellt).
 
Cerastium tenoreanum
 
Abb. 1 Cerastium tenoreanum, (5627/1) Wechterswinkel 2002, Herbar Meierott
Fig. 1  Cerastium tenoreanum, (5627/1) Wechterswinkel 2002, herbarium Meierott


 
Cerastium tenoreanum, REM
 
Abb. 2 Cerastium tenoreanum, REM Aufnahmen der Behaarung von Blütenstiel und Sepala (oben und Mitte) und Stängelast (unten)
Fig. 2  Cerastium tenoreanum, REM micrographs of peduncles and sepals (upper and middle images) and main stem branch (below)


 
Weitere Unterscheidungsmerkmale sind nur als Tendenz zu werten: Der Habitus des C. tenoreanum ist zierlicher und schmächtiger als der des C. brachypetalum, der Stängel (besonders in den unteren Stängelgliedern) oftmals rötlich oder weinrot überlaufen. Unterschiedliche Größenangaben (z.B. Rothmaler 4, 2005, und Fischer, 2005: C. tenoreanum 0,05-0,18, C. brachypetalum 0,05-0,40) konnte ich nach dem mir vorliegenden Material nicht bestätigen, einige Exemplare des C. tenoreanum können durchaus eine Höhe von 30 cm erreichen. Die primären Blütenstiele sind nach Lonsing (1939) bei C. tenoreanum 2-2½ cm, bei C. brachypetalum meist nur bis 2 cm lang. Die Griffelpapillen sollen nach Möschl (1973) bei C. tenoreanum meist deutlich kürzer (bis 0,025 mm) als bei C. brachypetalum (bis 0,035 mm) sein. Kreuzungen zwischen den beiden Arten sind bisher nicht sicher nachgewiesen worden, eine Bastardbildung dürfte zwischen C. brachypetalum (2n = 90) und C. tenoreanum (2n = 52) auch schwerlich möglich sein.
Die Unterscheidung der beiden drüsigen und drüsenlosen Varietäten des C. brachypetalum ist meist einfach (Abb. 3-6). An Haartypen treten hier auf:
     a) gerade bis schräg aufwärts (bis ca. 40°) abstehende längere mehrzellige Deckhaare,
     b) mehrzellige Haare (meist 3-4-zellig) mit länglich-ovalem Drüsenkopf,
     c) kurze, 2(-3)-zellige, drüsenlose Haare.
Die var. brachypetalum kennzeichnenden Drüsenhaare sind an Sepala, Blütenstielen und oft auch an den 2(-3) obersten Stängelgliedern zu finden. Die untersten Stängelglieder sind bei beiden Varietäten drüsenlos.
Bergmeier (1990) hat anhand von Material aus Mittelhessen auf die beträchtliche Variabilität der Dichte des Drü-senbesatzes hingewiesen. Von den untersuchten 23 Populationen waren nur 4 drüsenlos, bei 6 Populationen waren Drüsenhaare vereinzelt bis spärlich nur an den Blütenstielen feststellbar, bei 13 Populationen war die Drüsenbehaarung an Blütenstielen (etwas geringer an Sepalen) reichlich bis dicht. Zudem kamen unterschiedliche Behaarungstypen auch innerhalb derselben Population vor.
Bei der Untersuchung fränkischer Populationen zeigt sich ein etwas anderes Bild. Im Raum Bamberg finden sich ausgedehnte Populationen mit einheitlich drüsenlosen Pflanzen. In Unterfranken bis nach Südthüringen kommen dagegen nur Populationen mit (fast) ausschließlich drüsenbesetzten Pflanzen vor. Nur in zwei Fällen konnten hier Pflanzen ohne Drüsenhaare innerhalb von Populationen drüsiger Pflanzen nachgewiesen werden. Bei solchen Gegebenheiten dürfte eine Einstufung der beiden Behaarungstypen zumindest als Varietäten angemessen sein.

Cerastium brachypetalum var. brachypetalum
 
Abb. 3 Cerastium brachypetalum var. brachypetalum, (6024/2) Saupürzel bei Karlstadt; 20.5.1995, Herbar Drenckhahn
Fig. 3  Cerastium brachypetalum var. brachypetalum, (6024/2) Saupürzel near Karlstadt; 20.5.1995, herbarium Drenckhahn


 
Cerastium brachypetalum var. brachypetalum, REM
 
Abb. 4 Cerastium brachypetalum var. brachypetalum, REM-Aufnahmen der Bahaarung von Blütenstiel und Sepala (oben) und Stängelast (unten)
Fig. 4  Cerastium brachypetalum var. brachypetalum, REM micrographs of peduncles and sepales (above) and main branch of stem (below)

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Zur Verbreitung des Cerastium tenoreanum
 
Sell & Whitehead (1964a) charakterisieren die Verbreitung des C. tenoreanum mit „mainly concentrated around the upper reaches of the Danube and in central Balkan peninsular with isolated localities in France, Germany, Italy and southern Greece”. In Flora Europaea (Sell & Whitehead (1964b) ist die Angabe Deutschland gestrichen. In Atlas FE (Bd. 6, 1983) werden die Länder Al, Au, Bu, Cz, Ga [der betreffende Punkt fehlt in der Karte], Gr, He, ?Hs, Hu, It, Ju, Rm angegeben. Lonsing (1939) hat in seiner Verbreitungskarte zwei Punkte in Deutschland und einen in Frankreich eingefügt, im Text aber kritisch angemerkt: „Außerdem sah ich noch drei Belege, die aus Neuenburg im Breisgau, Heidelberg und Agen (Frankreich) stammen sollen“. Ich habe hierzu keine Quellen und Belege finden können. Lonsing (1969) schreibt: „fehlt in Deutschland“. In Oberdorfer (1962) wird die Art als „sehr selten z.B. bei Basel“ angegeben, seit Oberdorfer (1979) steht nur die allgemeine Angabe: s. slt. – SüRh.
 
Wir kennen aus Süddeutschland nur zwei sichere ältere Belege:
 
x(6916/3) Karlsruhe, 4. 1936, Kneucker ex Herbar Erich Putzler sub Cerastium brachypetalum Pers., revidiert Seybold als C. brachypetalum subsp. tenoreanum (Ser.) Soó (STU);
 
(7835/34) München, Südbahnhof, bei den magistr. Lagerhäusern, 21.5.1877, Hiendlmayer sub C. brachypetalum, revidiert Möschl als C. tenoreanum (M).
 
Vor kurzem hat Michael Hohla C. tenoreanum im Zuge seiner systematischen Untersuchungen von Bahnanlagen in Oberösterreich und dem grenznahen Niederbayern in (7744/1) am Bahnhof Simbach gefunden (Hohla et al. 2000).
Der Status des Karlsruher Fundes ist unklar, die beiden bayerischen Funde stammen von sekundären Standorten und sind mit Sicherheit synanthrop.


In Franken ist C. tenoreanum in einem großen, vitalen Bestand am Rande der Südrhön in einem relativ naturnahen Halbtrockenrasen entdeckt worden:
(5627/124) Südhang des ‚Rehbergs’ se Wechterswinkel, lückiger Halbtrockenrasen auf Muschelkalk, Meierott 28.4.2002, 25.5.2002, 10.5.2004, Meierott & R. Otto 10.6.2006. Belege sind in M sowie in den Herbarien Meierott und R. Otto hinterlegt.
Im Jahr 2002 waren hier zwischen 100 und 200 Pflanzen vorhanden, 2006 wurden im Halbtrockenrasen und an einer benachbarten Flurwegböschung mehr als 500 Pflanzen geschätzt. Unklar ist der Status dieser Population: ein Indigenat kann zwar nicht völlig ausgeschlossen werden, aber eine frühere Einschleppung und aktuelle lokale Einbürgerung dürfte wahrscheinlicher sein.
Eine Vegetationsaufnahme zeigt die Standortsverhältnisse und die Vergesellschaftung mit einer größeren Anzahl von Festuco-Brometea-Arten, einigen Sedo-Scleranthetea-Arten und mit erhöhter Anreicherung annueller Therophyten (Meierott 10.5.2004), Nomenklatur nach Standardliste (Wisskirchen & Haeupler 1998):
 
Lückiger Halbtrockenrasen auf Muschelkalk, steinig-lehmig, Deckung 70%, Exposition Süd 15°, 10 m2.
2a Cerastium tenoreanum, 2 Poa angustifolia, 2 Valerianella locusta, 2 Vicia tenuifolia, 1 Festuca rupicola, 1 Fragaria viridis, 1 Salvia pratensis, 1 Geranium columbinum, 1 Veronica arvensis, 1 Thlaspi perfoliatum, + Medicago minima, + Centaurea scabiosa, + Stachys recta, + Onobrychis viciifolia, + Potentilla neumanniana, + Ranunculus bulbosus, + Cerastium glutinosum, + Taraxacum rubicundum, r Taraxacum tortilobum.
 
Cerastium brachypetalum var. eglandulosum
 
Abb. 5 Cerastium brachypetalum var. eglandulosum, (5931/3) Leucherhof bei Baunach 1987, Herbar Meierott
Fig. 5  Cerastium brachypetalum var. eglandulosum, (5931/3) Leucherhof near Baunach 1987, herbarium Meierott
 
 
Cerastium brachypetalum var. eglandulosum, REM
 
Abb. 6 Cerastium brachypetalum var. eglandulosum, REM-Aufnahmen der Behaarung von Blütenstiel und Sepala (oben) und Stängelast (unten)
Fig. 6  Cerastium brachypetalum var. eglandulosum, REM micrographs of peduncles and sepales (above) and main branch of stem (below)


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Verbreitung der beiden Varietäten des Cerastium brachypetalum in Franken
 
Zu Verbreitung und Häufigkeit der beiden Varietäten finden sich in der Literatur recht unterschiedliche Angaben. Nach Lonsing (1939: 158) „herrscht in den einzelnen Gebieten bald eine, bald die andere Unterart [Varietät] vor oder ist überhaupt nur eine vorhanden. Im allgemeinen ist die subsp. strigosum [var. eglandulosum] weniger häufig als die subsp. tauricum [var. brachypetalum].“ Im deutschen Alpenvorland soll die drüsige Sippe, im Wiener Becken z.B. die drüsenlose Sippe vorherrschen. Friedrich in Hegi III/2 (1979) hat die Verbreitung der drüsenlosen Sippe als „wie unter der Art“, zerstreut im nördlichen Bayern und mit zahlreichen Ortsangaben z.B. aus Südwestdeutschland und Franken angegeben; die drüsige Sippe („subsp. tauricum“) sei für Südwestdeutschland fraglich, „die Verbreitung ist hier zu überprüfen“. Diese Angaben stimmen mit unserer heutigen Kenntnis der Verbreitung nicht überein. Seybold in FloraBW gibt für Baden-Württemberg fast ausschließlich die drüsige „subsp. tauricum“ an. Meierott in ‚Flora der Haßberge und des Grabfelds’ (2008) bringt eine Karte für C. brachypetalum var. brachypetalum, woraus ersichtlich wird, dass auch hier die drüsige Sippe fast ausschließlich vorkommt (dies gilt für das gesamte Unterfranken und auch für einen großen Teil Mittelfrankens). C. brachypetalum var. eglandulosum baut hiernach lediglich nördlich Bamberg um Baunach, Reckendorf und Rattelsdorf ein kleines Teilareal auf, in dem ausschließlich drüsenlose Pflanzen vorkommen. Da die Verbreitung der beiden Sippen in verschiedenen Regionen unterschiedlich ist, sollte also auf die beiden Varietäten weiter geachtet werden.


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Zu aktuellen Ausbreitungstendenzen annueller Cerastium-Sippen
 
Annuelle Therophyten sind in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten in ständiger Ausbreitung begriffen, sei es als Rasenlückenpioniere oder auch an Sekundärstandorten entlang der Migrationswege von Straßenrändern und Bahnlinien. Neben der allgemeinen klimatischen Erwärmung mag als wesentlicher Grund hierfür die Zunahme der Niederschläge im Winter und Frühjahr angesehen werden. Dornhöfer (1993) hat für den Raum Schweinfurt in den Jahrzehnten zwischen 1961 und 1990 für die Monate November, Dezember, Februar, März und April eine Zunahme der Niederschläge um mehr als 30 % festgestellt. Hinzu kommen Faktoren wie besser organisierte Pflege der Straßenränder und –böschungen sowie die Einschränkung der Unkrautvertilgung an Bahnanlagen und Ackerrändern.
Im Falle annueller Cerastien konnte im Laufe der über 25 Jahre andauernden Kartierung für die ‚Flora der Haßberge und des Grabfelds’ beobachtet werden, dass z.B. Cerastium brachypetalum und C. glutinosum aus den warmen Tieflagen mehr und mehr in das Keuperbergland und in Regionen des spätfrostgefährdeten und subkontinental geprägten Grabfelds einschließlich Südthüringen eindringen. Auch wenn zu berücksichtigen ist, dass ältere Florenangaben bei annuellen Cerastien mit einigen Unsicherheiten behaftet sind, kann konstatiert werden, dass Angaben von Fundorten für z. B. C. brachypetalum und C. glutinosum in Florenwerken um und nach 1900 eher spärlich sind: Für C. brachypetalum bringt Schwarz (1897, 1901) nur 6 Angaben für das Gebiet der Flora von Nürnberg-Erlangen, Schack (1925) nur 4 Angaben für das Gebiet der Flora von Coburg. In Vollmann (1914) finden sich für ganz Nordbayern nur etwas über 20 Angaben. Man vergleiche dies mit den aktuellen Karten in Meierott (2008). (Abb. 7)
Auch in anderen Gebieten sind diese Ausbreitungstendenzen zu verfolgen. Vergleicht man etwa die genauen Angaben für Cerastium glutinosum, pumilum, brachypetalum und tenoreanum in Lonsing (1977) für Oberösterreich mit den aktuellen Angaben und Karten in Hohla et al. (1998, 2000, 2002), so kann festgestellt werden, dass sich die Vorkommen in den letzten 4-5 Jahrzehnten zumindest verdrei- bis vervierfacht haben. Im Falle des C. tenoreanum ist M. Hohla der Meinung, dass es sich noch immer in Ausbreitung befindet (Mitt. M. Hohla September 2008). Prozess und Schnelligkeit dieser Ausbreitung sollten weiter beobachtet und auch quantitativ dokumentiert werden.
 

Abb. 7 Verbreitungskarten von Cerastium brachypetalum var. brachypetalum, Cerastium brachypetalum var. eglandulosum und Cerastium tenoreanum aus Meierott (2008), Flora der Haßberge und des Grabfelds. (Funde seit 1980)
Fig. 7 Distribution maps of Cerastium brachypetalum var. brachypetalum, Cerastium brachypetalum var. eglandulosum and Cerastium tenoreanum from Meierott (2008), Flora der Haßberge und des Grabfelds. (Records since 1980)
 
(Symbole: mehr als 100 Exemplare, weniger als 100 Exemplare pro Rasterfeld; Herbarbeleg)

(Symbols: more than 100 specimen, less than 100 specimen per field, herbarium specimen)
 


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Danksagung
 
Für Überlassung eines Auszugs aus seiner Namensdatei zur Flora Deutschlands danke ich Dr. K.P. Buttler (Frankfurt), für Auskünfte M. Hohla (Obernberg am Inn), für die Durchsicht des Textes R. Otto (Gundelsheim). Dr. Arno Wörz, Staatliches Museum für Naturkunde Stuttgart, hat den Beleg von Kneucker zu C. tenoreanum überprüft, Dr. A. Hölzer hat im Museum für Naturkunde Karlsruhe nach Belegen Kneuckers gesucht. Besonderen Dank schulde ich Prof. Dr. Detlev Drenckhahn und Frau Brigitte Treffny, Universität Würzburg, für rasterelektronenmikroskopische (REM) Untersuchungen (Methode siehe Drenckhahn, 2004) und die Anfertigung der fotografischen Dokumentation.


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Literatur:
 
Bergmeier, E. (1990): Über Cerastium brachypetalum Pers. in Mittelhessen. Flor. Rundbr. 24(2): 86-95

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Hohla, M., Kleesadl, G. & H. Melzer (2000): Neues zur Flora der oberösterreichischen Bahnanlagen – mit Einbeziehung einiger grenznaher Bahnhöfe Bayerns. Beitr. Naturk. Oberösterreich 9: 191-250, Linz

Hohla, M., Kleesadl, G. & H. Melzer (2002): Neues zur Flora der oberösterreichischen Bahnanlagen. Beitr. Naturk. Oberösterreich 14: 147-199, Linz

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